Short to slaughter

Stellt Eure in Arbeit befindlichen oder fertigen 2D-Artworks hier aus, um sie diskutieren zu lassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Euer Artwork in klassischen Techniken oder digital entstanden ist.
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digitaldecoy
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Beitrag von digitaldecoy » 10. Sep 2006, 21:43

Also, ob Du es noch fertig machst oder Dich bereits mit anderen Dingen beschäftigst sei jetzt mal dahingestellt. Ich will auch nicht an dem Bild direkt herumkritisieren. An einer Stelle bin ich jedoch hellhörig geworden:
... wenn ich eine gute Illustration machen möchte, geh ich anders vorran und dies war hier nie mein Ziel. [...] Es geht mir mit dem Bild ausnahmslos darum, mein Verständnis für/von Licht und Struktur zu schulen ...
Ich möchte Dir gerne in diesem Zusammenhang, in aller Bescheidenheit, meine Ansichten darlegen.

Ich kenne den Anspruch gut, Licht und Schatten und bestimmte Materialeffekte realistisch umsetzen zu wollen. An diesem Anspruch ist wohl auch nichts auszusetzen, denn er hilft einem dabei, Bilder zu erschaffen, die leichter gelesen und verstanden werden können und die potentiell mehr Eindruck auf den Betrachter machen. Das alles aber nur unter der Voraussetzung, dass das Bild formal als Komposition funktioniert!

Die Komposition über einzelne Shapes anzugehen oder das Bild in klare Ebenen zu gliedern schließt am Ende ja nicht aus, Licht und Schatten realistisch umzusetzen. Nur umgekehrt funktioniert es halt nicht - realistische Lichtverhältnisse bedeuten nicht automatisch ein gutes Bild. Sonst könnte man ja auch einfach mit der Kamera rumlaufen und wahllos Bilder knipsen und hätte immer ein perfektes Bild. Was ein Fotograf aber stattdessen tut ist, die Realität mittels Reflektoren, Kameraeinstellungen und Blitzlichtern so hinzubiegen, dass ein gutes Bild entsteht. Wenn man ein Bild plant und umsetzt sollte man sich also zuerst fragen, welche Bedürfnisse das Motiv aus illustrativer Sicht mit sich bringt und dann erst sollte man schauen, wie man es dann noch möglichst realistisch umsetzt.

"Realistisch" ist nämlich ein höchst dehnbarer Begriff im Begriff auf Licht und Schatten. Ich weiss nicht, in wieweit Du Dich Mal mit Fotografie auseinandergesetzt hast. Wenn man sich mit einer Kamera in die von Dir erdachte Szene stellen würde, könnte das Ergebnis auf zig unterschiedliche Arten und Weisen ausfallen. Je nachdem, wie Du Blende und Belichtungszeit einstellst, würde man mehr oder weniger Bouncelight vom direkt bestrahlten Boden sehen. Der Weissabgleich würde eine ganze Bandbreite von verschiedenen Farbstimmungen hervorbringen. Ob Du mit Tele oder Weitwinkel fotografierst hätte eine dramatische Wirkung auf die räumliche Staffelung und alle Parameter zusammen würden sich stark auf die Tiefenunschärfe auswirken u.s.w. Was glaubst Du, nach welchem Kriterium der Fotograf sein Foto schiessen würde? Er würde seine Kamera so einstellen, dass eine möglichst gute "Illustration" dabei rumkommt. Er würde auf die Lesbarkeit der Shapes achten und darauf, das wichtige Details nicht versuppen. Er würde seinen Standpunkt so wählen, dass keine relevanten Teile verdeckt werden und würde unschöne ßberschneidungen vermeiden. Ohne diese klaren Ziele würde er aus der Vielfalt an verschiedenen Möglichkeiten das Bild zu schießen gar nicht wählen können.

In diesem Punkt erkenne ich übrigens eine sehr interessante Parallele zur Anatomie. Man glaubt oft, dass die Anatomie unverrückbare Wahrheiten mit sich bringt und dass man nur alle Details des menschlichen Skeletts und Muskelapperates pauken muss, um im Endeffekt überzeugende Posen zeichnen zu können. Das ist aber, meiner Meinung nach, eine Fehleinschätzung. Die Pose muss auf einfachster Ebene funktionieren. Mit ein paar Strichen muss man den Schwung und die Geste so festhalten, dass sie einen überzeugt. Erst im Nachhinein baut man dann die anatomischen Details aus und wählt ihre Darstellung so, dass sie die gewünschte Pose unterstützen und tragen. Die Variationen der menschlichen Anatomie sind nämlich so vielfältig und unterschiedlich, dass man sie nicht als Auswahlkriterium hernehmen kann. An der plumpen Pose des Helden in Deinem Bild sehe ich, dass Du die ganze Zeit nur damit beschäftigt warst, über Dein fehlendes Wissen zur Anatomie des Rückens, des Gesäßes und der Beinrückseite zu verzweifeln aber ich sehe keine angezielte Geste, keinen einfachen Kern, den man dann mit etwas Recherche hätte ausbauen können. Auch dort bist Du dem Trugschluss aufgesessen, dass die Lösung in der komplexen Oberfläche zu finden sei. Dabei liegt die Lösung im einfachen Kern - sowohl bei der Anatomie als auch beim Aufbau der ganzen Illustration.

Lass Dich nicht in die Irre leiten und versuche, Deine Ziele klar zu formulieren. "Keine gute Illustration machen" zu wollen, ist doch ein denkbar schlechtes Ziel. Wenn Du eine reine Licht und Schatten-ßbung machen willst, dann wähle doch besser keine Szene mit Charakteren, denn bei so einer Szene wird die Kritik niemals über schlechtes visuelles Storytelling hinwegsehen können. Stilleben sind da viel geeigneter. Arbeite von einfach nach komplex und achte, auf welche Kernaspekte es ankommt. Man verhaspelt sich sonst nur und das ist frustrierend. Ich hoffe, meine Gedanken können Dir irgendwie helfen.
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ElCazze
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Beitrag von ElCazze » 28. Sep 2006, 14:32

Wow, also mir haben deine Gedanken jedenfalls schon geholfen, Daniel.

Vor allem die Ausführungen über die Anatomie fand ich jetzt sehr spannend.

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